Heute tritt Donald Trump seine zweite Amtszeit an. Die globale wirtschafts-und sicherheitspolitische Lage hat sich seit seiner ersten Amtszeit stark verändert. Völkerrechtsexperte Ralph Janik spricht im Selektiv-Interview über das Comeback von Einflusssphären, den Niedergang der regelbasierten Weltordnung und darüber, welchen Preis man für Grönland bezahlen müsste.
Schon 2019 hat Donald Trump mit seinen Aussagen, Grönland kaufen zu wollen, für Aufsehen gesorgt. Jetzt scheint er es aber wirklich ernst zu meinen – erst kürzlich hat sein Sohn Donald Trump Jr. mit einer Delegation das Land besucht. Wie sieht denn der rechtliche Status von Grönland konkret aus?
Ralph Janik: Grönland gehört im Prinzip zum souveränen Hoheitsgebiet von Dänemark, hat aber Autonomiestatus und war gewissermaßen der erste Austritt aus der EU (damals noch EG) im Jahr 1985 – der „Gröxit“. Eben weil Grönland autonom ist, konnten sie ihren Teil des Gebiets von Dänemark aus der Europäischen Union herausschälen. Grönland ist aber kein voll souveräner Staat. Es hat einen Sonderstatus nach dänischem Verfassungsrecht und EU-Recht, der zum Beispiel Selbstverwaltung und das Recht, Zölle einzuheben, mit sich bringt.
Könnte Grönland unilateral entscheiden, auch diesen Sonderstatus hinter sich zu lassen, das Hoheitsgebiet Dänemarks zu verlassen und eben einem anderen Bündnis beitreten, oder sich sozusagen „aufkaufen“ zu lassen? Oder braucht es hierfür die Zustimmung Dänemarks?
Es gibt keine eindeutige Antwort darauf, weil es davon abhängt, welchen Teil vom grönländischen Status man am meisten betont. Wenn man sagt, es ist souveränes Hoheitsgebiet von Dänemark, dann kann Dänemark im Alleingang über Grönland verfügen. Wenn man das Selbstbestimmungsrecht der Völker betont, dann können die Grönländer jederzeit beschließen, ein eigener Staat zu werden oder sich den USA anzuschließen – ganz ohne Dänemark.
Wenn man den Kauf Grönlands durch die USA als realistisches Szenario annehmen würde, müssten idealerweise sechs Akteure zustimmen: Die dänische Regierung, eine Mehrheit der dänischen Bevölkerung, die grönländische Regierung bzw. Lokalverwaltung, eine klare Mehrheit der grönländischen Bevölkerung, die US-Regierung sowie die US-amerikanische Bevölkerung – weil die ja zahlen müssten oder sich Mehrheitsverhältnisse verschieben könnten, wenn Grönland ein Bundesstaat werden würde und der individuelle Wähler in den USA somit weniger Gewicht hätte.
Die USA haben bereits öfter versucht, Grönland zu kaufen, zuletzt 1946 unter US-Präsident Truman – warum haben sich diese Versuche und auch andere Kaufabsichten (z.B. Island) wieder verlaufen?
Das Kaufen von Gebieten ist ein Konzept aus dem 19. Jahrhundert. Ein Kauf Grönlands war damals schlichtweg nicht mehr notwendig. Es hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass man fremde Gebiete nicht mehr seinem Staatsgebiet einverleiben muss – man kann dort Militärbasen, Abhöranlagen und dergleichen auch auf anderem Wege installieren. So haben die USA ohnehin bereits jetzt eine große Militärbasis im grönländischen Thule – ohne, dass Grönland Teil der USA sein muss. Darüber hinaus sind Dänemark und Grönland Teil der NATO und voll integriert in die NATO-Strukturen. So haben USA und Dänemark schon 1951 einen separaten Vertrag zur Verteidigung Grönlands geschlossen.
Wie würde man überhaupt den Preis eines Gebietes wie Grönland festsetzen? Wie bewertet man die Bodenschätze, die geostrategische Lage, etc.?
Man kann keinen Preis für ein solches Gebiet festlegen. Staatsgebiet ist so unfassbar wertvoll, deswegen gibt es eben auch kein „terra nullius“, also herrenloses Gebiet, mehr. Eben weil man mittlerweile begriffen hat, dass in Zukunft weitere Bodenschätze von unschätzbarem Wert entdeckt werden könnten. Grönland ist unbezahlbar.
Grönland ist unbezahlbar?
Grönland ist unbezahlbar, aufgrund seiner Größe, seiner Lage und seiner Ressourcen. Es gibt keinen realistischen Kaufpreis. Jeder Preis wäre juristisch gesprochen immer eine „laesio enormis“, also nachteilig für den Verkäufer. So viel Geld können auch die USA, auch ein Donald Trump oder ein Elon Musk, gar nicht aufbringen.
Grönland beherbergt 1,3 Prozent der globalen seltenen Erden. Sollte die ganze Debatte Europa wachrütteln? Europa eben selbst in die Gänge kommen, was den Abbau dieser Ressourcen betrifft?
Schon längst hätte Europa wachgerüttelt werden müssen, ja schon seit der ersten Amtszeit von Donald Trump – er denkt ganz klar transaktional. Europa ist immer noch in einem transatlantischen Denken gefangen, aber die USA agieren in ihrer Außenpolitik ganz klar nach dem „America First!“-Prinzip. Europa denkt, dass die USA bis ans Ende aller Tage an der Seite Europas stehen werden, weil sie das seit 1945 tun – das ist aber vorbei. Es ist in europäischem Interesse, diese seltenen Erden selbst abzubauen und an den Bestbietenden zu verkaufen.
Trump will nicht nur Grönland kaufen, auch Kanada hat er bereits scherzhaft als zukünftigen 51. Bundesstaat bezeichnet. Worauf müssen wir uns da einstellen?
Kanada ist wie Österreich ein geopolitischer Trittbrettfahrer – aus dem umgekehrten Grund. Wir sind die Made im NATO-Speck, Kanada hingegen ist im hintersten Winkel und hat als einzigen Nachbarn die USA – der bisher keine wie auch immer geartete Sicherheitsbedrohung war. Wenn die US-Außenpolitik stärker in Richtung Expansion geht und sagt: „Das, was der Putin macht, wollen wir auch machen“ – dann ist das für Kanada ein Problem. Noch wird über Kanada als 51. US-Bundesstaat gescherzt. Aber wenn aus Spaß dann Ernst wird, könnte Kanada seine Souveränität verlieren. Denn wer könnte Kanada zu Hilfe kommen? Kanada könnte sich unmöglich gegen die USA erwehren, vielleicht wird es dann eine Art „Anschluss“ geben.
Wir sind hier mittlerweile bei Fragen, die alle absurd klingen und auch ich vor acht Jahren unter der ersten Amtszeit von Donald Trump noch als absurd abgetan hätte – aber heute ist mittlerweile alles möglich. Wenn wir schon dabei sind: Man könnte Kanada ja auch eine EU-Mitgliedschaft anbieten. Es gibt keinen Grund, die EU räumlich auf Europa zu beschränken.
Als drittes Gebiet neben Grönland und Kanada hat Donald Trump auch den Panama-Kanal ins Visier gefasst – China würde dort mittlerweile zu viel Kontrolle ausüben und überhaupt hätte US-Präsident Carter den Panama-Kanal niemals aus der Hand geben dürfen. Wie war der Status des Panama-Kanals damals, wie ist er heute zu bewerten?
Der Panama-Kanal war damals unter Kontrolle der USA, aber kein US-Staatsgebiet im eigentlichen Sinne. Beim Panama-Kanal kommt hinzu, dass die USA den Bau durchgeführt und finanziert haben, das war ja ein Riesenprojekt. Gleichzeitig hatte die Kontrolle über den Kanal etwas Imperiales, wenn nicht Koloniales. Erst in den 1970er-Jahren hat man beschlossen, den Panama-Kanal zu „neutralisieren“, sodass kein Staat einen Exklusivanspruch auf Durchfahrt durch den Panama-Kanal erheben kann. Gerade diese Neutralität wird jetzt von den USA kritisiert, gerade weil der Panama-Kanal allen Schiffen offensteht, will Trump die exklusive Kontrolle über diese Handelsroute zurück.
Ist an der Kritik von Donald Trump, dass China zu viel Einfluss auf die Administration des Panama-Kanals ausüben würde, etwas dran?
Ja, sicher sogar. China ist genauso in der Einflusssphären-Politik gefangen und möchte genauso seine Handelswege kontrollieren. Die USA unter Trump wollen weg vom alten Prinzip der Transitfreiheit, das wir im Völkerrecht schon seit Ende des Zweiten Weltkriegs haben (Art. 5 GATT, 1947). Wir reisen somit gewissermaßen in die Zeit vor 1947 zurück. Großmächte wie die USA, China oder Russland wollen wieder exklusiv bestimmen können, welche Handelsschiffe welche Routen befahren dürfen und welche nicht.
Von den drei genannten Gebieten: Kanada, Panama-Kanal, oder Grönland – was kommt am wahrscheinlichsten unter US-Kontrolle?
Der Panama-Kanal. Der Panama-Kanal ist sehr wichtig, er ist in der Nähe der USA und wir haben ja gesehen, dass die Argumente vom „eigenem geopolitischen Hinterhof“ international am ehesten akzeptiert werden. Auch Russland versucht seit Jahren, die Debatte rund um die Annexion der Krim und Invasion der Ukraine so zu färben, dass es als eine Art „geopolitische Notwendigkeit“ gesehen und damit zumindest verstanden wird. Wenn auch die USA den Panama-Kanal im Sinne des geopolitischen Hinterhofs framen, dann kann ich mir seine Einverleibung noch am ehesten vorstellen. Der Panama-Kanal würde wohl formal nicht annektiert werden, aber die Kontrolle darüber mit historischen Argumenten – eben ähnlich wie Putin – übernommen werden.
Bei Grönland halte ich es für gar nicht unrealistisch, dass es ein eigenständiger Staat wird. Ein Staat, der immer noch sehr eng mit der EU und natürlich mit Dänemark verbunden wäre, aber eben formal gesehen ein eigener Staat wäre. Je souveräner Grönland wäre, desto eher könnte es wechselseitige Allianzen eingehen und verschiedene regionale oder globale Player gegeneinander ausspielen. Etwas, das wir im Kalten Krieg zum Beispiel in Somalia gesehen haben.
Stichwort Kalter Krieg, befinden wir uns in einem neuen Kalten Krieg?
Man könnte das so betrachten, dass wir immer noch in einer „Kalten Kriegs“-Phase sind. Darauf zielt die „Drachenbär“-These ab, dass die große Konfrontation immer noch aus zwei Weltmächten besteht, diesmal USA und China – denn Russland ist nicht so wichtig, die anderen BRICS-Staaten sind nicht so wichtig und auch die EU ist militärisch nicht so wichtig.
Eine zweite These ist, dass wir eher wieder im 19. Jahrhundert sind – mehrere globale Großmächte, die unterschiedlich stark sind und trotzdem miteinander in Konkurrenz treten und immer wieder ad hoc Allianzen schließen.
Die dritte These ist, dass wir wieder in der Zeit vor 1648 sind – also das westfälische System, das auf Staaten- und Großmachtpolitik basiert – und alles vollkommen chaotisch wird, es gar keine souveränen Staaten gibt und es neben Königen, Fürsten, etc. noch zusätzlich viele private Akteure gibt, die Staaten beeinflussen, sich von ihnen emanzipieren oder vielleicht sogar ganz übernehmen. Wenn man an Elon Musk denkt, kann man sich jetzt schon pro futuro die Frage stellen: Ist es jetzt der Staat, der ihn reguliert oder ist er derjenige, der den Staat reguliert? Da sind wir schon näher bei der Zeit von Wallenstein und dem Dreißigjährigen Krieg.
So wie es im Moment aussieht, bin ich am ehesten bei der dritten These: Wir sind eigentlich gerade im Dreißigjährigen Krieg, nur auf globaler Ebene.
Wenn man die globalen Konfliktherde betrachtet: Die russische Invasion der Ukraine, die Gebietsansprüche Chinas im südchinesischen Meer und auf Taiwan, die Ambitionen der zweiten Trump-Regierung – kommen wir endgültig in eine Welt von Einflusssphären, Pufferzonen und Gebietsansprüchen zurück?
Wir haben das Einflusssphären-Denken nie ganz verlassen, aber es wird jetzt immer offener artikuliert. Weiters sind die Alternativen zum Einflusssphären-Denken heute nicht mehr so beliebt: Also Freihandel und niedrige Zölle im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), sodass eine Eroberung anderer Länder nicht notwendig war, denn Waren und Rohstoffe konnten relativ günstig erworben werden. Je mehr man dieses WTO-bezogene Denken verlässt, umso eher wird gewaltsame Eroberung zur Option. Ein Zitat, das man Frédéric Bastiat zuschreibt, drückt das treffend aus: „Wenn Waren keine Grenzen überschreiten, werden es Soldaten tun.“ Unter Trump – ein bekannter Kritiker der WTO – wird die Option des friedlichen Warenverkehrs immer unattraktiver und somit, im Umkehrschluss, die Option des militärischen Grenzübertritts attraktiver.
Es könnte aber auch der Fall eintreten, dass China die Lücke der USA füllt. Wenn zum Beispiel die USA aus der WTO aussteigen würden oder ihre Einzahlungen bei der UNO drastisch zurückfahren sollten – etwa ein Drittel des UNO-Budgets wird von den USA finanziert, wenn ein Elon Musk das erfährt, sagt der „Afuera!“ – dann könnte China einspringen, denn bei internationalen Organisationen gilt: „Wer zahlt, schafft an“.
Sehen Sie einen Pfad, wie man aus dieser eher düsteren Lage wieder herauskommt?
Aus der Geschichte gibt es zwei Lektionen. Die erste wäre, dass es zuerst einen großen Krieg geben muss, um danach einen Neuaufbau des internationalen Systems zu ermöglichen – so geschehen nach dem ersten Weltkrieg mit dem Völkerbund und nach dem zweiten Weltkrieg mit der UNO.
Die zweite Option wäre, dass eine Krise, wie beim Kalten Krieg, auch friedlich zu Ende gehen kann und es zu einer massiven Revolution im internationalen System kommen kann, zum Beispiel durch die Gründung der WTO. Das ist im Moment natürlich „wishful thinking“. Aber das war ein Ende des Kalten Krieges bis Ende der 1980er wohl auch.
Zur Person
Ralph Janik ist Assistenzprofessor an der Sigmund Freud Privatuniversität, Lehrbeauftragter an der Universität Wien, der Andrassy Universität in Budapest und der Universität der Bundeswehr in München.