Die Bahnindustrie gehört zu den erfolgreichsten Branchen Österreichs. Dennoch haben die Entwicklungen der vergangenen Jahre Spuren hinterlassen – „Die Kollektivvertragserhöhungen tun weh“, gesteht Christian Diewald, Präsident des Verbands der Bahnindustrie, ein. Gemeinsam mit Geschäftsführer Anil Rai erklärt er im Interview auch, was die wachsende Konkurrenz aus China für die Branche bedeutet und ob der Bahnindustrie ein ähnliches Schicksal wie der Autoindustrie drohen könnte.
Mehr als fünf Monate Stillstand bis zur Regierungsbildung – wie ist es der Bahnindustrie damit gegangen?
Christian Diewald: Die Situation ist für alle Branchen gerade schwierig, das wird sich durch die neue Regierung nicht schlagartig ändern. Früher gab es eine Krise, jetzt haben wir viele auf einmal. Die letzten fünf Monate waren ein sehr dynamischer Prozess und man hat bei allen Parteien Gehör gefunden. Jetzt geht es darum, möglichst schnell in die Umsetzung vieler und wichtiger Themen zu kommen. Bei den Sparmaßnahmen kann ich mir vorstellen, dass sich nicht alles wie geplant realisieren lässt – für uns als Bahnindustrie ist es jedoch von zentraler Bedeutung, dass der Sparstift nicht an der falschen Stelle angesetzt wird. Gerade mehrjährige Finanzierungsinstrumente wie der ÖBB-Rahmenplan sind entscheidend, damit die Infrastruktur in Österreich weiterhin zuverlässig funktioniert und die Industrie Planungssicherheit hat.
Es gibt aber auch einige Dinge, die für die Industrie wichtig wären, im Regierungsprogramm aber nur sehr vage enthalten sind – die Verlängerung des Strompreiskosten-Ausgleichs beispielsweise.
Anil Rai: Die fünf Monate waren nicht vollständig verloren, denn alle Parteien wurden sehr gut für die Themen der Industrie sensibilisiert. Im Programm gibt es tatsächlich einige Punkte, die sehr spannend klingen, etwa das Thema „Buy European“ und die Stärkung der Regionalität bei Ausschreibungen. Jetzt bleibt tatsächlich zu hoffen, dass das alles auch in die Umsetzung geht. Wir brauchen einerseits diese verpflichtenden Wertschöpfungskriterien von mindestens 50 Prozent, aber auch eine stärkere Gewichtung preisfremder Kriterien. Alle trommeln immer das Bestbieterprinzip, aber am Ende des Tages liegt die Gewichtung dann doch zu 90 Prozent beim Preis. Damit die innovativen und hochqualitativen Industrieprodukte die unter den höchsten und strengsten Vorlagen hier in Österreich bzw. Europa produziert werden auch langfristig die nachhaltigste Lösung sind, braucht es eine stärkere Gewichtung dieser preisfremden Qualitätskriterien wie z. B. der Lebenszykluskosten, immerhin sind Bahnindustrie-Produkte mehrere Jahrzehnte im Einsatz. Unser Vorschlag geht in Richtung 30 Prozent.
Wie konkret sind diese Punkte? Das Programm vermittelt stark den Eindruck, dass mit vielen Standort-stärkenden Maßnahmen erst ab 2027 zu rechnen ist, wenn der gröbste Teil des Spardrucks abgearbeitet ist.
Diewald: Unsere zentralen Forderungen haben jedenfalls Gehör gefunden. Dazu gehören vor allem kontinuierliche Investitionen in die Bahninfrastruktur und in den öffentlichen Verkehr. Zentral dafür ist der ÖBB-Rahmenplan, der Österreich auch von anderen Ländern abhebt. Mit diesem Rahmenplan sind für 2024 – 2029 Investitionen in der Höhe von 21,1 Milliarden Euro verankert und wir haben damit Planungssicherheit. Der Rahmenplan betrifft nur die Infrastruktur – hinzu kommen noch die 6,1 Milliarden Euro, die die ÖBB in Rollmaterial investieren wollen. Das macht Österreich zu einem spannenden Markt und führt dazu, dass es hier eine so starke Bahnindustrie gibt. Ein weiterer wichtiger Punkt wäre eben die Reform des Vergaberechts – wir müssen weg von diesen zu 90 Prozent preisgetriebenen Entscheidungen. Die europäische und vor allem die österreichische Bahnindustrie hat als Qualitätsanbieter ihren Preis. Wenn man die Türe für Billigstanbieter öffnet, ist das für die heimische Bahnindustrie keine gute Nachricht.
Ist diese Türe bereits geöffnet?
Diewald: Das hängt vom Betreiber ab. Es gibt nach wie vor Betreiber mit einem hohen Prozentsatz preisgetriebener Zuschlagskriterien. Das darf aus meiner Sicht in Zukunft nicht mehr passieren. Billigstanbieter aus dem asiatischen Raum haben immer noch die Möglichkeit hier anzubieten. Die EU-Kommission hat mit Instrumenten wie der „Foreign Subsidy Regulation“ ein Werkzeug geschaffen, um solche Entwicklungen vorerst zu stoppen. Jedoch sollte man auch hier über die Höhe der Wertgrenze von 250 Milliarden Euro nachdenken, mittlere und kleinere EU-Projekte fallen damit teils durch den Rost – eine Reduktion auf zumindest 150 Milliarden Euro wäre wünschenswert.
Muss das noch national umgesetzt werden?
Diewald: Der Ball liegt genau genommen bei den Betreibern. Wenn sich Hersteller aus Drittländern mit staatlichen Subventionen bewerben, muss das von der ausschreibenden Stelle geprüft und gemeldet werden: erst dann wird die EU tätig und prüft, ob eine Teilnahme an der Ausschreibung zulässig ist.
Rai: Wir reden hier ja nicht von kleinen Preisdifferenzen, sondern von 30 bis 50 Prozent. Wir wissen aus Ausschreibungen, dass teilweise um 30 bis 50 Prozent unter unseren Grenzkosten angeboten wird – das ist wirtschaftlich für uns nicht darstellbar und überhaupt nur aufgrund staatlicher Subventionen möglich.
War das bisher bereits ein großes Problem?
Rai: Ja, und dieses Problem wird auch immer größer. Wegweisend ist, sich vor Augen zu halten, dass Infrastruktur und Fahrzeuge Entscheidungen für Generationen sind – Schienenfahrzeuge sind im Durchschnitt 30 bis 35 Jahre im Einsatz. Asiatische Billiganbieter gibt es teilweise gar nicht so lange, wie die Produkte im Einsatz sein werden. Und am Ende des Tages hat die Bahn immer auch eine sicherheitstechnische Komponente – es geht um die Sicherheit und Zuverlässigkeit des Systems.
Diewald: Dass chinesische Hersteller nun nach Europa drängen, wurde dadurch getrieben, dass sie im eigenen Land hohe Kapazitäten aufgebaut haben. Dort gab es einen sehr hohen Bedarf für den entsprechende Werke hochgezogen wurden. Nun sind die Hochgeschwindigkeitsstrecken zwischen den großen Städten im Wesentlichen ausgebaut und sie haben massive Überkapazitäten. Das sind die Geister, die man rief. Es gibt europäische Hersteller, die den chinesischen Markt in den letzten Jahren hochprofitabel bedient haben. In China kannst du aber nur dann Geschäfte machen, wenn du in ein Joint Venture einsteigst. Dadurch konnten sich die chinesischen Firmen die europäische Technologie sichern und blasen nun quasi zum Gegenangriff.
Gibt es die Sorge, dass der Bahnindustrie in Europa das Schicksal der Automobilindustrie drohen könnte?
Diewald: Ich glaube nicht, dass Zölle wie in der Autoindustrie eine Lösung sind. Die EU hat mit der Foreign Subsidy Regulation wirklich ein vernünftiges Tool geschaffen, aber auch das werden sich die chinesischen Staatsunternehmen nicht auf Dauer gefallen lassen, weil der europäische Markt im öffentlichen Bereich für sie de facto tot ist. Mit dieser Regelung können subventionierte Anbieter von der ausschreibenden Stelle ausgeschlossen werden und ich gehe davon aus, dass das auch passiert, denn am Ende des Tages ist es Steuergeld, um das es geht.
Rai: Der Vergleich mit der Autoindustrie passt auch deshalb nicht so gut, weil es ein ganz anderer Kundenmarkt ist. Mich persönlich für ein chinesisches E-Auto zu entscheiden, ist ja mein gutes Recht. Wenn ich aber mit Steuergeld hantiere und damit eine Wertschöpfungskette absichere, darf man durchaus verlangen, dass staatliche Institutionen das Geld wieder zurück ins System spielen. Wir sichern 28.000 Arbeitsplätze allein in Österreich ab und in ganz Europa arbeiten weit über 500.000 Menschen in der Bahnindustrie. Wir produzieren hier unter den höchsten Qualitätsstandards und unter allen EU-Richtlinien, die in den letzten Jahren verabschiedet wurden – auch das hat es nicht immer leicht gemacht, kompetitiv zu bleiben. Wir sind definitiv noch Weltspitze – der Zug ist nicht abgefahren.
„Wenn ich mit Steuergeld hantiere und damit eine Wertschöpfungskette absichere, darf man durchaus verlangen, dass staatliche Institutionen das Geld wieder zurück ins System spielen.“
Anil Rai
Diewald: Würde es einen fairen Wettbewerb mit chinesischen Mitbewerbern geben, würde ich diesen auch nicht scheuen. Es geht um Waffengleichheit – die Lanzen müssen gleich lang sein. Wenn wir zum Beispiel auch die Chance bekommen, in China anzubieten, ohne ein Joint Venture zu haben und wenn es zu keiner Marktverzerrung durch Subventionen kommt, sind sie damit dem gleichen Preisdruck ausgesetzt wie die europäische Bahnindustrie. Wenn es wirklich um die Qualität geht und nicht um den Preis, haben wir sie noch immer geschlagen.
Die Foreign Subsidy Regulation ist also die beste Lösung, die am Tisch liegt?
Diewald: Die Regulation ist ein guter erster Schritt – ich appelliere aber schon, da genau hinzusehen. 50 Prozent europäische Wertschöpfung kann man schnell einmal vorrechnen. Es kann aber nicht sein, dass ein asiatischer Hersteller den Stahl bei einem europäischen Hersteller in Europa einkauft, nach China transportiert, dort eine Lokomotive baut und wieder nach Europa liefert. Das führt das System ad absurdum. Man muss wirklich genau definieren, was europäische Wertschöpfung ist und wer die relevanten Lieferanten von Schlüsselkomponenten sind. Es ist auch ein Sicherheitsaspekt. Unsere Züge sind digitaler. Das ist Gold wert – wenn ich Zugriff auf Maschinendaten von einer Verschub-Lokomotive in einem Güter-Terminal habe, kann ich Güterströme genau analysieren.
Österreich ist seit zwei Jahren in der Rezession und sehr wahrscheinlich wird die Wirtschaft auch heuer wieder schrumpfen. Wie stark ist die Bahnindustrie betroffen?
Diewald: Die österreichische Bahnindustrie hat einen sehr hohen Exportanteil von 73,5 Prozent – darauf können wir sehr stolz sein. Wir sind in absoluten Zahlen Nummer 4 am Weltmarkt, hinter den USA, China und Deutschland. In Deutschland wird in den kommenden Jahren das lange Totsparen der Infrastruktur behoben und das ist eine gute Chance, den Exportanteil noch weiter zu steigern.
Die meisten Industriesparten klagen, dass der Wettbewerb im Export schwieriger wird, weil die Kosten gestiegen sind. Betrifft das die Bahnindustrie gar nicht?
Diewald: Ein großer Vorteil sind die sehr langen Produktlebenszyklen in der Bahnindustrie. Wir bauen Produkte, die 30 oder 35 Jahre in Betrieb sind und unsere Projekte haben eine Durchlaufzeit von mindestens vier Jahren, vielleicht sogar mehr. Bis Krisen in der Bahnindustrie ankommen, vergeht immer eine gewisse Zeit und wir können uns gut vorbereiten. Ganz spurlos geht es aber nicht an uns vorüber. Die Kollektivvertragserhöhungen tun weh. Ich finde es immer spannend, wie das gefeiert wird und übersehen wird, dass das früher oder später Jobs kostet.
Die EU-Kommission hat kürzlich den Clean Industrial Deal auf den Weg gebracht und in einem ersten Schritt Maßnahmen gegen hohe Energiepreise und gegen überbürokratische Berichterstattung gesetzt. Wie kommt das in der Bahnindustrie an?
Rai: Der Bürokratieabbau ist überfällig und es ist gut zu sehen, dass die EU die grüne Transformation nun nicht mehr gegen die Wirtschaft, sondern mit der Wirtschaft vorantreiben will. Am Ende des Tages wird sich zeigen, was und wie schnell dann tatsächlich umgesetzt wird.
Diewald: Für uns ist wichtig, dass die Betreiber in Europa alle an einem Strang ziehen. Wir haben noch immer unterschiedlichste Regularien bei der Zulassung – es gibt zwar eine europäische Eisenbahnbehörde, aber de facto bringen immer noch die Nationalbehörden ihre Anforderungen ein. Mein Lieblingsbeispiel ist Italien – dort hat man die zusätzliche Anforderung, dass Züge, die in Italien fahren, eine Brandlöschanlage haben müssen. Wenn ich mit dem Zug auch nur ein kleines Stück nach Italien hineinfahre, muss der also entsprechend ausgestattet sein. Das betrifft europäische Intercityzüge und in Österreich zum Beispiel auch die Nahverkehrszüge für Tirol. Wir können noch fünf Green Deals machen, die werden uns aber nichts nutzen, wenn wir die Basics nicht in den Griff bekommen, nämlich ein echtes, vereinheitlichtes System.
„Wir können noch fünf Green Deals machen, die werden uns aber nichts nutzen, wenn wir die Basics nicht in den Griff bekommen.“
Christian Diewald
In Österreich und Europa geht die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene schleppend, wenn nicht sogar in die andere Richtung. Woran liegt das?
Diewald: Es gibt keine Kostenwahrheit zwischen LKW und Bahn. Ein Kilometer auf der Straße ist im Güterverkehr günstiger als auf der Schiene. Das Diesel-Privileg pro LKW und der teilweise noch hoch besteuerte Bahnstrom sorgt für ungleiche Spielregeln.
Warum ist das so?
Diewald: Durch das Infrastrukturbenutzungsentgelt, dass im Straßenverkehr stärker gestützt ist. In Europa gibt es außerdem die Herausforderung, dass Billig-Frächter z.B. aus Osteuropa den Markt überfluten und zum Preis einer Vignette einmal quer durch Europa fahren ohne Arbeitssicherheitsauflagen einzuhalten. Ein österreichischer Frächter kann da preislich nicht mithalten. Es muss genauso einfach sein, einen Güterzug durch Europa zu fahren, wie einen LKW. Die Hürden beginnen aber schon bei der Personalplanung, der Sprache im Führerstand, den nationalen Betriebsregelungen und den technischen Voraussetzungen.
„Es muss genauso einfach sein, einen Güterzug durch Europa zu fahren, wie einen LKW.“
Christian Diewald