Barbara Schmidt ist Generalsekretärin von Oesterreichs Energie © Oesterreichs Energie
Barbara Schmidt ist Generalsekretärin von Oesterreichs Energie © Oesterreichs Energie
Interview

„Auf den Bergen ist noch viel Platz für Windräder“

Interview von Sara Grasel und Stephan Frank

Die Regierungsverhandler von ÖVP und SPÖ haben eine Abgabe für Energieunternehmen angekündigt, um das Budget zu sanieren. Geld, das bei der Energiewende fehlen wird, wenn es nicht zweckgebunden wird. „Sollte es gelingen, das wiederzubeleben, würde das allerdings dazu führen, dass nur Erneuerbaren-Erzeuger zum Handkuss kommen – also genau die, die in den Erneuerbaren-Ausbau investieren“, sagt Barbara Schmidt, Generalsekretärin der Interessenvertretung Oesterreichs Energie.

Die langen Regierungsverhandlungen lähmen zusätzlich, da viele wichtige gesetzliche Neuerungen der Umsetzung hatten, obwohl längst Einigkeit darüber erzielt wurde. Stimmen, die Ziele der Klimaneutralität von 2040 auf 2050 zu verschieben, sieht sie kritisch. „Energieunternehmen haben ihre Investitionsprogramme darauf ausgerichtet. Diese Stop-and-Go-Politik ist schlecht für den Standort und die Planbarkeit“, sagt Schmidt. Im Interview geht es außerdem um den Ausbau von Photovoltaik und Windkraft in Österreich, die Notwendigkeit neuer, moderner Gaskraftwerke und das Comeback der Atomenergie in der EU.

ÖVP und SPÖ wollen das Paket für die Budgetkonsolidierung aufschnüren. Neben einer Bankenabgabe ist auch eine Abgabe für Energieunternehmen geplant. Ist das aus Ihrer Sicht ein legitimer Beitrag zur Budgetsanierung?

Barbara Schmidt: Die Not ist offensichtlich groß. Die E-Wirtschaft und die Kunden der E-Wirtschaft leisten jetzt schon große Beiträge in die öffentlichen Töpfe. Viele Energieunternehmen sind außerdem zu einem großen Teil in öffentlicher Hand und damit an den Gewinnen in Form von Dividenden direkt beteiligt. Davor wird jeder mögliche Cent, in die Transformation des Energiesystems gesteckt. Das sichert Arbeitsplätze und schafft Wertschöpfung im Land. Dieses Geld wird dann fehlen. Wir wissen aber auch noch nicht, wie das genau ausgestaltet werden soll.

Es gibt eine Abgabe, die jetzt ausgelaufen ist.

Ja, das war ein Energiekrisenbeitrag, der von der EU abgesegnet in der Krise eingeführt wurde. EU-rechtlich ist diese Möglichkeit der Abschöpfung nun aber ausgelaufen. Sollte es gelingen, das wiederzubeleben, würde das allerdings dazu führen, dass nur Erneuerbaren-Erzeuger zum Handkuss kommen – also genau die, die in den Erneuerbaren-Ausbau investieren. Da sind noch viele Fragezeichen offen.

Was bedeutet das für den Standort, wenn bestimmte Unternehmensgruppen jederzeit damit rechnen müssen, Sonderabgaben bezahlen zu müssen?

Natürlich sollte man nicht laufend irgendwelche Unternehmen plötzlich belasten. Das Thema Planbarkeit ist für uns sehr aktuell. Darunter fällt auch die Idee, von der Regierung gesetzte Klimaziele nun wieder umzustoßen. Es mag Gründe geben, die Klimaneutralität von 2040 auf 2050 zu verschieben. Wir haben auch immer betont, dass 2040 sehr sportlich ist. Für die Planbarkeit für Unternehmen ist das aber schlecht. Energieunternehmen haben ihre Investitionsprogramme darauf ausgerichtet. Diese Stop-and-Go-Politik ist schlecht für den Standort und die Planbarkeit.

Sie sind also gegen eine Anhebung der Klimaziele von 2040 auf das EU-Niveau von 2050.

Wir sind auf jeden Fall dagegen, wenn sich dann alle zurücklehnen und meinen, die Transformation des Energiesystems spielt jetzt keine Rolle mehr. Wenn es dann heißt, wir haben eh noch so viel Zeit, wir müssen keine Verfahren beschleunigen oder Flächen zur Verfügung stellen. Wenn die Schlagzeile dann ist „Bundesregierung sagt Energiewende ab“, wären wir sehr dagegen. Wenn wir mit dem jetzigen Tempo und Ziel weiterarbeiten, können wir die Energiewende bis 2045 oder 2050 schaffen. Wenn wir das Ziel auf 2050 schieben, dann wird es erst 2060 gelingen.

Wie wirkt sich die lange Regierungsbildung seit der Wahl im September auf das Energiesystem aus?

Auf die Versorgungssicherheit gibt es keine Auswirkungen. Schlecht ist, dass viele Maßnahmen, die bereits erarbeitet und ausdiskutiert wurden, die dazu führen würden, dass die Kosten der Transformation nicht so stark steigen, nicht umgesetzt werden. Ich verstehe nicht, warum man da im Nationalrat keine Initiativen gesetzt hat.  

Zum Beispiel?

Eine wichtige Maßnahme wäre die Spitzenkappung bei Photovoltaik. Es geht darum, die Netze nicht für einzelne Tage mit Spitzenleistungen ausbauen zu müssen. Am Pfingstsonntag ist es schön und warm, es wird viel Photovoltaik-Strom produziert, aber die Industrie als Abnehmer fällt weg und auch die Haushalte verbrauchen wenig Strom. Wir bauen die Autobahnen ja auch nicht für den einen Samstag aus, an dem Urauberschichtwechsel stattfindet. Bei den Netzen hat man einen Vorteil, man kann darauf achten, dass nicht jede Kilowattstunde Photovoltaik unabhängig vom Bedarf ihren Weg ins Netz findet. Dann würden auch die Netzkosten nicht so stark steigen. Im Elektrizitätswirtschaftsgesetz gab es dazu bereits eine Einigung. Ein anderes Beispiel wären verursachergerechtere Netztarife, die nicht mehr einfach pro entnommene Kilowattstunde berechnet werden. Aktuell gibt es einen Rückgang beim Bezug aus dem öffentlichen Netz, weil auf den Dächern viel Photovoltaik ausgebaut wird. Deswegen müssen die, die Strom aus dem öffentlichen Netz beziehen, höhere Netztarife für den Netzausbau stemmen. Wenn man die Anschlussleistung der PV-Anlagen-Besitzer miteinbezieht, wäre die Verteilung gerechter. Auch dazu gibt es eigentlich schon eine Einigung.

Die Netzgebühren sind heuer bereits gestiegen und es gab Stimmen die meinen, Energieunternehmen sollen die Mehrkosten des Netzes mit ihren Gewinnen selbst bezahlen. Was entgegnen Sie?

Die Netzbetreiber sind eigene Gesellschaften und es ist rechtlich gar nicht zulässig, dass hier eine Querfinanzierung stattfindet. Eine Möglichkeit wäre natürlich, die geplante Abgabe für die Transformation im Energiesystem zweckzuwidmen. Das wäre sicher sinnvoll, hilft aber natürlich nicht bei der Budgetsanierung.

Frankreich stellt mit Stéphane Séjourné einen mächtigen EU-Kommissar und Kommissions-Vizepräsident, der sich für Atomenergie einsetzt. Rechnen Sie damit, dass das in Europa mehrheitsfähig ist und Atomkraft zum Teil der Klimaziel-Strategie der EU werden könnte?

Wir erleben auch in unserer Dachorganisation Eurelectric, dass Atomkraft wieder eine größere Rolle spielt. Der Energiemix ist aber Landessache, diese Entscheidung trifft also jede Nation für sich. Für manche Länder ist Atomkraft eine wichtige Technologie auf dem Weg zur CO2-Neutralität. Wir müssen aber ehrlich sein: Als die Atomkraftwerke in Frankreich Probleme hatten, hatten wir auch in Europa Probleme. Das war mit ein Grund, warum die Strompreise damals so stark gestiegen sind. In Österreich haben wir uns gegen die Atomkraft entschieden. Unser Mittel der Wahl sind die Erneuerbaren mit einer starken Wasserkraft als Grundlage. Wir werden aber weiterhin Gaskraftwerke brauchen. Wir müssen auch neue Gaskraftwerke bauen, die für Wasserstoff geeignet sind. Wir wollen nicht, dass uns jemand die Gaskraftwerke verbietet, also können wir auch niemandem Atomkraftwerke verbieten.

„Not in my backyard“ ist in Österreich nach wie vor die oberste Maxime.

Der Rechnungshof hat kürzlich kaum ein gutes Haar an der österreichischen Planung der Energiewende gelassen. Keine konkreten Kostenschätzungen, keine konkrete Flächenplanung auf Bundesländerebene. Können Sie die Kritik nachvollziehen?

Ja, der Rechnungshof hat da den Finger in die Wunde gesteckt. Das ist auch der Grund, warum wir schon im Sommer von einer nächsten Bundesregierung ein Transformationsministerium gefordert haben. Denn die Energiewende braucht einen Kümmerer – wie jedes große Projekt. Es braucht eine Person auf Bundesebene, die die verschiedenen Akteure zusammenbringt und aus den verschiedenen Meinungen und verschiedenen Bedürfnissen eine gemeinsame Strategie erarbeitet. Leider ist das in Österreich bisher nicht der Fall. Denn wir haben Bundesziele, aber wir haben keine Landesziele – und deswegen kann sich jeder auf den anderen ausreden. Da arbeitet der Bund gegen die Länder, und ein Bundesland gegen das andere. Die einen sagen, es gibt genug Windkraft im Osten, da brauchen wir im Westen gar keine, wir haben ja die Wasserkraft. Wir wissen aber, dass das nicht reicht. Wir brauchen Windräder in ganz Österreich. Wir brauchen Netze in ganz Österreich. Wir brauchen Wasserkraft nicht nur in der Donau. Dieses „not in my backyard“ ist in Österreich nach wie vor die oberste Maxime. Jeder ist zwar mehr oder weniger für die grüne Transformation, aber keiner will die Infrastruktur bei sich. Das führt zu einem massiven Problem.

Der Rechnungshof hat darüber hinaus die mangelnde Kostenabschätzung der Transformation kritisiert, hat er auch damit Recht?

Jeder hat seine Kostenabschätzungen, wir als Oesterreichs Energie auch. Die Förderungen für den Erneuerbaren-Ausbau oder die Netzkosten – die zahlen sich die Kundinnen und Kunden mit der Ökostromabgabe aber selbst. Es wird also nichts aus öffentlichen Mitteln gezahlt und diese Kosten behalten wir natürlich im Auge. Dass das in die Kompetenz des Rechnungshofes fällt, finde ich einigermaßen interessant.

Um zur Machbarkeit des Windkraftausbaus zurückzukehren – die Austrian Energy Agency (AEA) hat aufgeschlüsselt, dass wir bis ins Jahr 2040 um die 1.000 bis 2.500 zusätzliche Windräder benötigen. Man könnte also grob sagen: Alle drei Tage muss ein neues Windrad aufgestellt werden. Sind wir diesbezüglich im Zeitplan?

Natürlich nicht, nein. Wir haben aber innerhalb der letzten drei Jahre bei der Photovoltaik gesehen, wie rapide der Ausbau im Ernstfall gelingen kann. Es wurde mehr ausgebaut, als wir uns jemals vorstellen hätten können. Wenn die Verfahren es hergeben, wenn die Flächen da sind, kann sich das auch bei der Windkraft ausgehen. Derzeit haben wir 1.400 Windräder in Österreich – aber in vielen Bundesländern kein einziges. Auf den Bergen ist noch viel Platz. Da ist Wind nach oben! Das Hauptthema bei Windkraft ist die Akzeptanz in der Bevölkerung, für die muss man kämpfen. Für die muss sich auch der zukünftige Transformationsminister einsetzen. Die Transformation des Energiesystems machen wir, um klimaneutral zu werden. Aber es ist nicht nur ein Klimaschutzprogramm. Es ist Geld, das in Österreich investiert wird. Klarerweise sind hier mit Kosten verbunden. Aber Kosten haben wir jetzt auch – 13 Milliarden Euro pro Jahr fließen für Fossil-Importe ins Ausland.

Windkraftanlagen in Österreich nach Bundesländern 2023

Sie haben den rapiden Ausbau von Photovoltaik innerhalb der letzten Jahre schon angesprochen. Im Rahmen eines Sparpakets könnte jetzt die Mehrwertsteuerbefreiung für private PV-Anlagen fallen. Muss die private PV noch weiterhin gefördert werden? Oder hat jetzt ohnehin schon jeder, der eine PV-Anlage installieren kann oder will, eine am Dach?

Noch sind nicht alle Dächer voll, da jetzt auch Ost-West-Dächer immer attraktiver werden steigt das Potenzial in diesem Bereich. Die Süd-Dächer wurden in der Vergangenheit als effizienteste Lösung angesehen, aber dadurch haben wir zur Mittagszeit jetzt einen deutlichen Strom-Überschuss. Die Produktion zur Mittagszeit müsste man mittlerweile abregeln. Ost-West-Dächer sind systemdienlicher, da es in den Vormittagsstunden bisher noch nicht so viel Produktion gibt. Darüber hinaus sind auch die einzelnen PV-Module immer leistungsstärker geworden. Wichtig ist, dass die privaten PV-Anlagen den eigenen Bedarf abdecken, nicht überdimensioniert sind und am besten mit einem eigenen Speicher kombiniert werden. Sonst führt das eben dazu, dass zu Mittag das Stromnetz an seine Auslastungsgrenzen kommt.

Sollte die Förderung von privater Photovoltaik an die Installation eines Speichers gekoppelt werden?

Das würde ich begrüßen – am besten fördert man überhaupt nur mehr die Speicher. Die Batteriepreise sinken ebenfalls rapide und irgendwann muss man diese vielleicht auch gar nicht mehr fördern.

Zur Person

Barbara Schmidt ist seit 2007 Generalsekretärin von Oesterreichs Energie und Geschäftsführerin der Oesterreichs Energie Akademie GmbH. Darüber hinaus ist sie Vorstandsmitglied von Erneuerbare Energie Österreichs (EEÖ), des österreichischen Verbandes für Elektrotechnik (OVE) und des World Energy Council (WEC Austria).