Johannes Kopf ist CEO des Arbeitsmarktservice Österreich (AMS) © AMS Österreich / Tanja Hofer
Johannes Kopf ist CEO des Arbeitsmarktservice Österreich (AMS) © AMS Österreich / Tanja Hofer
Interview

AMS-Chef: „Arbeitszeitverkürzung entfällt derzeit zu drei Viertel auf Männer“

Bisher ist der Arbeitsmarkt in Österreich glimpflich durch die Rezession gekommen. „Wir erleben tatsächlich eine atypische Entwicklung“, sagt AMS-Chef Johannes Kopf. Die Bildungskarenz sieht er als „Inaktivitätsfalle“, die im Unterschied zu anderen Förderungen nie auf ihre arbeitsmarktpolitische Relevanz geprüft wurde. Den Zuverdienst zum Arbeitslosengeld würde er einschränken, da er mehr Nach- als Vorteile sieht.

Im Zuge der Sparmaßnahmen, um einem EU-Defizitverfahren zu entgehen, war angedacht die Bildungskarenz zu streichen. Wie bewerten Sie die Maßnahme?

Johannes Kopf: Es ist unumstritten, dass das an sich vernünftige Modell der Bildungskarenz in den letzten Jahren missbraucht und zu einer Inaktivitätsfalle wurde. Sie wurde von einem großen Teil der Bezieherinnen und Bezieher genützt, um entweder die Elternkarenz zu verlängern oder Ausbildungen zu machen, die die Chance am Arbeitsmarkt nicht erhöhen. Dort wo sie eingesetzt wurde, um sich zu qualifizieren oder eine Ausbildung abzuschließen, war sie ein wirkungsvolles Instrument. Wir müssen schauen, was die neuen Koalitionsverhandlungen jetzt bringen.

„Die Bildungskarenz wurde in den letzten Jahren missbraucht und zu einer Inaktivitätsfalle.“

AMS-Chef Johannes Kopf

Gibt es andere Modelle für Weiterbildung und Höherqualifizierung?

Mit der Bildungskarenz fiele ein Baustein aber nicht der einzige weg, den das AMS für Qualifizierungen und Weiterbildungen für seine Kundinnen und Kunden einsetzt. So wurden allein im Jahr 2024 für Aus- und Weiterbildung arbeitsloser Personen 273 Millionen Euro aufgewendet. Werden alle Qualifizierungsmaßnahmen wie etwa das Fachkräfte– und Pflegestipendium hinzugenommen, dann investierte das AMS im letzten Jahr mehr als 824 Millionen Euro in Bildung. Das waren allerdings alles Förderungen, bei denen das AMS – anders als bei der Bildungskarenz – auch die arbeitsmarktpolitische Relevanz geprüft hat.

Wenn Arbeitslosengeld bezogen wird, soll man künftig keiner geringfügigen Beschäftigung mehr nachgehen können. Kann das als Anreiz funktionieren, Menschen schneller wieder in die Vollbeschäftigung zu bringen?

Ich bin schon in der Vergangenheit dafür eingetreten, den Zuverdienst jedenfalls einzuschränken. Auch wenn man davon ausgeht, dass ein Zuverdienst Langzeitarbeitslosen die Chance bietet, einen Fuß in der Tür der Arbeitswelt zu behalten, überwiegen insgesamt die Nachteile. Durch den Zuverdienst wird der Unterschied zwischen Erwerbseinkommen und arbeitslosem Einkommen so gering, dass der Anreiz arbeiten zu gehen sehr klein wird. Hinzu kommt, dass sich durch Zuverdienst die Dauer der Arbeitslosigkeit gerade zu Beginn verlängert.

Österreich ist seit zwei Jahren in einer Rezession und der Ausblick auf die kommenden Jahre verspricht nur ein Mini-Wachstum. Besonders schlecht steht es um die Industrie. Der Arbeitsmarkt ist dafür bisher glimpflich davongekommen. Warum?

Wir erleben tatsächlich eine atypische Entwicklung. So sahen wir 2024 im Jahresdurchschnitt ein Allzeithoch von 3.960.663 Beschäftigten und damit im Jahresvergleich einen Anstieg von 4.406 Beschäftigten. Gleichzeitig ist Anstieg der Arbeitslosigkeit geringer als aufgrund der konjunkturellen Schwäche erwartet werden müsste. Gründe dafür sind, dass gut ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach den Erfahrungen aus der Zeit des Arbeitskräftemangels länger gehalten werden. Die Demografie und der Trend zur Arbeitszeitverkürzung spielen hier auch eine Rolle.

„Im Moment entfällt die Arbeitszeitverkürzung zu drei Viertel auf Männer. Sie arbeiten weniger Stunden, machen weniger Überstunden.“

AMS-Chef Johannes Kopf

Die Beschäftigtenzahlen sind vergangenes Jahr gestiegen, die Produktivität aber gesunken. Mehr arbeitende Menschen leisten also in Summe weniger Arbeitsstunden. Welche Auswirkungen hat das?

Die durchschnittliche Arbeitszeit sinkt schon lange, unter anderem weil Frauen, die bisher gar nicht gearbeitet haben, jetzt zumindest Teilzeit arbeiten. Das alleine wäre kein Problem, weil damit die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden weiter steigen würde. Im Moment entfällt die Arbeitszeitverkürzung jedoch zu drei Viertel auf Männer. Sie arbeiten weniger Stunden, machen weniger Überstunden. Und viele junge Gutqualifizierte wollen auch Teilzeit arbeiten. Das ist durchaus positiv, wenn das Männer sind, die sich um Kinder kümmern. Dennoch führen Demografie und Arbeitszeitverkürzung dazu, dass Arbeitskraft fehlt. Rein für die Arbeitslosenstatistik ist das günstig, für Wohlstand, Wettbewerbsfähigkeit und das Sozialversicherungssystem jedoch problematisch.

Steht am Arbeitsmarkt das Schlimmste noch bevor, insbesondere mit Blick auf die schwache Industriekonjunktur?

Nein, aber wir erwarten in den kommenden Monaten eine steigende Arbeitslosigkeit. Die Branche „Herstellung von Waren“ spürt die Rezession aktuell am stärksten. Hier stieg die Arbeitslosigkeit inklusive Schulungsteilnehmerinnen und -Teilnehmer im Jänner im Vorjahresvergleich um 14,6 Prozent. Das ist der stärkste Zuwachs unter allen Branchen. Mit Blick auf das vor uns liegende Jahr rechnen Wirtschaftsforscher mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote von 7,0 auf 7,4 Prozent. 

Braucht es aus Ihrer Sicht Anpassungen bei der gesetzlichen Arbeitszeit? Vergangenes Jahr wurden sowohl die 32-Stunden-Woche als auch die 41-Stunden-Woche lebhaft diskutiert.

Wichtiger als eine Debatte über die gesetzliche Wochenarbeitszeit wäre es Anreize zu schaffen, damit Menschen länger arbeiten – sowohl im Alter als auch mehr Stunden. 51,6 Prozent aller Frauen sind in Teilzeit und geben als häufigsten Grund dafür Kinderbetreuungspflichten oder Pflege von Angehörigen an. Die durchschnittlich pro Person geleisteten Arbeitsstunden sind seit 2004 von 35,7 pro Woche bis 2023 auf 30,0 zurückgegangen.

Unser Steuersystem führt dazu, dass bei Teilzeitjobs relativ gesehen deutlich mehr netto herauskommt als bei Vollzeit. Wenn dann noch die Kinderbetreuungskosten einen großen Teil dessen auffressen, was man mehr verdient, rentiert es sich für viele einfach nicht, auf Vollzeit aufzustocken.

„Die durchschnittlich pro Person geleisteten Arbeitsstunden sind seit 2004 von 35,7 pro Woche bis 2023 auf 30,0 zurückgegangen.“

AMS-Chef Johannes Kopf

Wie müsste eine Pensionsreform Ihrer Ansicht nach aussehen, um das Potenzial älterer Arbeitskräfte zu heben?

Die Bevölkerungsprognose der Statistik Austria zeigt, dass die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15 bis 64 Jahre) trotz Zuwanderung bis 2050 um 4,5 Prozent zurückgeht und in allen Bundesländern – ausgenommen Wien – rückläufig ist. Wir müssen in Zukunft daher länger arbeiten.

Zur Person

Johannes Kopf ist seit Juli 2023 Vorstandsvorsitzender des Arbeitsmarktservice Österreich. Davor war er von Juli 2006 bis Juni 2023 Vorstandsmitglied des AMS Österreich und von Juli 2019 bis Juni 2023 Vorsitzender des Netzwerks der Europäischen Arbeitsmarktverwaltungen (PES). Im Kabinett von Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Bartenstein war er als Arbeitsrechtsexperte tätig und davor als Referent bei der Industriellenvereinigung.