Andrea Renda bei den AIT Technology Talks 2024 © AIT/Valerie Maltseva
Andrea Renda bei den AIT Technology Talks 2024 © AIT/Valerie Maltseva
Standortpolitik

AIT Technology Talks: Europa, sein Potenzial und wie es sich selbst bremst

Bei regnerischem Wetter fanden die Technologie Talks des Austrian Institute of Technology (AIT) erstmals nicht mehr im Rahmen der Forums Alpbach, sondern im Museumsquartier in Wien statt. Das Hauptthema war die Herausforderung der „Triple Transition“ – die ökologische, digitale und menschengerechte Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft – und das trübe, kühle Wetter diente als überraschend gute Metapher für die Sorge, die bei vielen Wortmeldungen auf den Bühnen mitschwang. Denn die Analyse der aktuellen Situation ist so klar, wie sie auch bitter ist – Europa gerät bei den Zukunftstechnologien ins Hintertreffen und die Politik, die die Weichen für eine bessere Entwicklung legen müsste, scheint überfordert zu sein.

Gleich die erste Keynote der Veranstaltung von Andrea Renda, wissenschaftlicher Direktor des „Center for European Policy Studies“, einem Thinktank mit Sitz in Brüssel, drehte sich um die Herausforderungen der Triple Transition die – von Seiten der Politik – oft so groß wirken würden, dass man gar keine Strategie finden könne, um sie bewältigen zu können – und die bisherigen Sünden des Policy-Makings auf EU-Ebene.

Europa bremst sich selbst

„Wie soll Europa mit anderen Weltmächten mithalten können, wenn es bei seiner Entscheidungsfindung in den Prozessen des vergangenen Jahrhunderts steckengeblieben ist“, warnte er. Er unterstrich das große Potenzial der Kombination von digitalem, grünem und menschengerechtem Wandel, doch pochte darauf, dass die EU sich aktuell selbst bei der möglichen Hebung dieses Potenzials bremst. Die bisherige Politikgestaltung sei „viel zu linear“ ausgefallen. Die Verantwortlichen für Energie sollten sich nicht nur um Energie kümmern, ebenso wenig wie Digitalisierungsministerinnen und Minister nur um Digitalisierung. Als Beispiel für viel zu lineare Projekte, die die Komplexität des Themas nicht berücksichtigen, erwähnte Renda den „Green Deal“ der EU-Kommission. Dort wurde zwar die Reduktion der Treibhausgas-Emissionen festgeschrieben, doch gleichzeitig hat man verabsäumt, es mit den Chancen zu kombinieren, die dieser Prozess hätte. Digitalisierung, Dekarbonisierung, Forschungsausgaben und auch die Abfederung sozialer Folgen wurden nicht mit diesem Ziel kombiniert, auch das Renaturierungsgesetz müsste eigentlich in diese Strategie eingewoben werden: „Es geht nicht um die Erreichung einzelner Ziele, sondern um eine Gesamtbalance und einen machbaren Fahrplan, der dauernd an neue Gegebenheiten angepasst werden müsste.“

Renda schlug deshalb einen neuen Ansatz des Policy-Makings vor: eine umsichtige, agile, dynamische Politikgestaltung, die auch lokale Bedingungen im Blick behält und gleichzeitig auf „kumulative Effekte“ abzielt. Auch gehe es darum, alternative Zukunftsbilder zu entwerfen und mitzudenken – und sich von der Vorstellung des einen Szenarios zu verabschieden. Seinen propagierten Ansatz zur Politikgestaltung gab Renda den „catchy“ Namen „Quantenpolitik“ – ohne hier eine inhaltliche Nähe zur Quantenforschung suggerieren zu wollen, so der Experte. Die „Quantenpolitik“ symbolisiere eher die große Notwendigkeit, sich an die Schaffung eines bisher noch fehlenden Werkzeugkastens von Regierungen zu machen, um den großen gesellschaftlichen Herausforderungen auch begegnen zu können: „Wir brauchen mehr Mut.“

Renda appellierte aber gleichzeitig für mehr Zuversicht, Europa dürfe keine Angst vor der Zukunft haben und müsse es auch nicht. Die Voraussetzungen, um im globalen Ringen eine führende Position in den Zukunftstechnologien zu erreichen, beziehungsweise zu halten, seien gegeben. „Wir haben das Wissen, wir haben die Forschungseinrichtungen, wir haben die Betriebe und wir haben die sozialen Netze. Wir wissen, was getan werden muss, es muss nur umgesetzt werden.“

Europäische Wettbewerbsfähigkeit unter Druck

Das zentrale Werkzeug für die Bewältigung der Triple Transition, um auch Rendas Keynote in konkrete Maßnahmen überzuleiten, sei auf jeden Fall eine Stärkung der Forschung, Innovation und der Möglichkeiten des Umsetzens von Erkenntnissen in der Wirtschaft: „Wir müssen unsere Investitionen in Forschung und Innovation erhöhen“, forderte Anna Panagopoulou, Director for ERA & Innovation, DG Research and Innovation, bei der Europäischen Kommission. Das würden auch Berichte wie der Draghi-Report zeigen, die die industrielle Wettbewerbsfähigkeit unter Druck sehen.

Notwendig seien eine bessere Verknüpfung zwischen Grundlagenforschung und Innovation, mehr privates Risikokapital und ein besseres Start-up-Ökosystem, so Panagopoulou, die auch darauf verweist, dass die europäische Forschungspolitik nicht in Brüssel in verschlossenen Hinterräumen entwickelt wird, sondern zusammen mit den Mitgliedsländern und verschiedenen Stakeholdern.
Beim aktuellen europäischen Forschungsprogramm „Horizon Europe“ sei Österreich etwa sehr erfolgreich. Es müssten aber auch die einzelnen Länder ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung erhöhen. Außerdem gelte es, die Zusammenarbeit von Universitäten, Forschungseinrichtungen und der Industrie zu verbessern. „Diese Hausaufgaben müssen erledigt werden, dann haben wir auch eine Chance“. Es bleibt zu hoffen, dass diese Nachrichten von den Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern in der neuen EU-Kommission und in den Hauptstädten der Mitgliedsländern auch gehört werden.