Keiner hält unsere 183 Abgeordneten für redlich 

24. Juni 2024Lesezeit: 3 Min.
Kommentar von Rainer Nowak

Rainer Nowak ist österreichischer Journalist und Ressortleiter für Wirtschaft und Politik bei der „Kronen Zeitung“. Zuvor war Nowak Chefredakteur, Herausgeber und Geschäftsführer der Tageszeitung „Die Presse“.

Die Demokratie sei in Gefahr, ist ähnlich oft zu hören wie die Warnung, unsere Kinder könnten durch soziale Medien verblöden. Zweites sagt man schon über die gemeingefährliche Wirkung von buntem Comics-Teufelswerk und den Suchtmotor TV. Eine vernünftige Erziehung mit Erklärungen und Konsum- oder Zeit-Regeln hilft dagegen ganz gut, aber ist zugegebenermaßen für Eltern anstrengend. Der erste Befund ist ähnlich schlicht und wird gerne als selbstgerechtes Mantra in Diskussionen und Gesprächen verwendet. Die europäischen Demokratien schlagen sich aber besser als behauptet. Die bösen Populisten haben noch in keinem Land Parlament und Wahlen abgeschafft. Selbst Viktor Orban ist vor so manchem Urnengang höchst nervös. 

Aber sollten wir statt der Rettung der großen Welt einfach nur unsere kleine ein wenig verbessern? Also indem wir etwa über die Normalität der österreichischen Politik reden und diese nicht zu zart hinterfragen? Da wäre etwa der Umgang mit Steuergeld in Form sogenannter Wahlzuckerln. Schon der Begriff ist absurd, wer vor Wahlen Geld ausgibt, um sich Stimmen zu kaufen, begeht genau genommen Wahlbetrug und Amtsmissbrauch. Mit Vorsatz. Die Nonchalance, mit der diese widerrechtlichen Geldausgaben knapp vor dem Wahltag im sogenannten koalitionsfreien Raum getätigt werden, zeigt sich auch am Rande der aktuellen Debatte um die Renaturierungsposse von Leonore Gewessler.

Die Ministerin hält sich bekanntlich weder an Beschlüsse der Landeshauptleute noch anderer Ressorts oder gar den Verfassungsdienst der Republik. Institutionen oder Regeln gelten für Grüne nicht, die Moral steht quasi über dem Gesetz. Dennoch geht Kanzler Karl Nehammer nicht in Richtung der Entlassung Gewesslers und lässt notfalls die Regierung platzen. Er argumentiert dies, um eben jenen koalitionsfreien Raum und Wahlzuckerln verhindern zu wollen. Das ist insofern bemerkenswert, da Nehammer offensichtlich davon ausgeht, dass dies automatisch passiert, also alle Parteien die Gunst (?) der Stunde nützen würden. Niemand widerspricht und sagt: So unreif sind Österreichs Nationalräte doch nicht. Glaubt nämlich anscheinend keiner. 

Ähnlich sonderbar scheinen die Koalitionsaussagen vor Wahlen: Spätestens seit Wolfgang Schüssel angekündigt hatte, mit einem Platz drei in Opposition gehen zu wollen und dann als Kanzler mit Schwarz-Blau über den Pokertisch sprang, ahnt jeder: Das gilt alles nicht. Es geht vielmehr um Macht und Ressorts. 

Und noch eine Unwahrheit: Kein einziger Politiker sagt was ist. Nach der Wahl wird jede Regierung Budgetprobleme bekommen. Soll heißen: Ohne Kostenbremse, Sparpaket oder neuen Steuern wird das Land nicht weiterkommen, es sei denn wir legen uns mit Brüssel, Vernunft und unseren Enkelkindern an.

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